So fing alles an

Ein einfacher Flyer stellte mein Leben auf den Kopf als ich 27 Jahre alt war. In einem Münchner Café entdeckte ich die Ankündigung für einen Workshop: »Großformatiges Malen mit Jess Walter«. Dass ich mich dazu angemeldet habe, war wohl Schicksal, und dieser Schritt sollte meine Welt radikal verändern.

Aufgewachsen in einem naturwissenschaftlich geprägten Elternhaus hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt meine Leidenschaft für die Kunst noch nicht entdeckt. Ich studierte Lebensmittelchemie (!) und auch sonst war mein ganzes Streben darauf ausgerichtet gewesen, den Erwartungen meiner Familie zu entsprechen. Die Workshops bei Jess Walter markierten einen grundlegenden Wendepunkt: Zum ersten Mal in meinem Leben tat ich etwas, was mich in Flow versetzte und mir eine tiefe Befriedigung schenkte (Malen). Was bis dato in meinem Leben stattgefunden hatte, war bloß dem Gefühl der Pflichterfüllung geschuldet.

Nach diesen unbeschreiblichen Glückserlebnissen konnte ich nicht länger Lebensmittelchemie studieren – auf einmal fühlte sich das Studium absolut falsch an. Die Exmatrikulation folgte, und ich bemühte mich um die Aufnahme an der Kunstakademie in München. Der fest verankerte Glaube, Kunst sei brotlos, hinderte mich jedoch daran, mich beruflich voll und ganz auf die Kunst zu konzentrieren. So wurde ich Grafikdesignerin.

Der Drang nach kreativer Freiheit hat mich jedoch nie mehr losgelassen. Zwischen 2011 und 2013 studierte ich künstlerische Fotografie an der Prager Fotoschule in Österreich. Seit gut zehn Jahren realisiere ich verschiedene freie Projekte aus den Bereichen Fotografie und Design.

Während der Lockdowns in der Pandemie konnte ich nicht länger den intensiven Drang unterdrücken, meinen Themen durch die Malerei Ausdruck zu verleihen. 2021 nahm ich den unterbrochenen Pfad wieder auf, den ich Jahre zuvor in München hinter mich gelassen hatte: Ich meldete mich für ein dreijähriges berufsbegleitendes Studium der Malerei an der Akademie der bildenden Künste in Kolbermoor an, welches unter der Leitung von Heribert Heindl, Helmut Geier und Nina Kohmann stattfindet (Abschluss im November 2024).

Von Tehran ins Allgäu

Ich bin im Iran in eine armenische Familie hineingeboren. In einem Umfeld gesellschaftlicher und religiöser Spannungen aufwachsend, legte diese Zeit schon früh den Grundstein für meinen künstlerischen Ausdruck. Mit zwanzig Jahren flüchtete ich nach Deutschland, mit dem anfänglichen Ziel, weiter in die USA zu meiner Familie zu reisen. Doch das Leben wollte es anders: Geplant war eine einzige Übernachtung in München, doch durch eine »zufällige« Begegnung am Münchner Flughafen blieb ich ganze 29 Jahre in München. Nach elf Jahren in Unterfranken lebe und arbeite ich seit dem Sommer 2024 in der wunderschönen Stadt Memmingen im Unterallgäu.

Mein künstlerischer Ausdruck

Meine Lebensthemen sind Identität, Kultur und Geschichte. Seit ich selbständig denken kann, erkunde ich diese spannungsgeladenen Felder für mich. Meine Kunst ist dabei die beste Möglichkeit, meinen Erlebnissen, Gedanken und Emotionen auf diesem Pfad Ausdruck zu verleihen.

Identität

Wer bin ich? Was mache ich hier? Warum bin ich hier? Schon mit neun Jahren erzählte ich in meiner Klasse, ich sei eigentlich eine Japanerin und meine Familie sei eine Tarnung. Ich erzählte, dass meine Eltern einen unsichtbaren Kleber hätten, mit dem sie mir die Augen so zurechtklebten, dass meine echte Herkunft verborgen blieb.

Lange Jahre fühlte ich mich nirgends zugehörig. Das hat sich längst gewandelt, die Ich-Suche ist mir aber geblieben: Wer bin ich wirklich wirklich? Wer ist meine Seele? Was von mir ist authentisch, was antrainiert? Mit jedem Pinselstrich lege ich ein Stück mehr Catherine frei, und ich bin unendlich dankbar für jede noch so kleine Erkenntnis.

Kultur

Besonders in islamischen Ländern leben Armenier in einer mehr oder weniger geschlossenen christlichen Gemeinschaft. Ich bin in einem armenischen Viertel mitten in der Millionenstadt Tehran aufgewachsen, hatte aber bis ich 15 war nur armenische Freunde. Ich sehnte mich danach, tiefer in die persische Kultur einzutauchen und persische Freundinnen zu haben. Hinzu kam, dass meine Großmutter, die lange vor meiner Geburt verstorben war, aus Weißrussland stammte. Ich habe sogar ihren Vornamen beerbt (sie hieß Katarina). Diese Mischung aus Religion-, Volks- und Heimatzugehörigkeit verstärkte meine Identitätssuche noch mehr.

Wie beeinflusst die Kultur, in der wir aufgewachsen sind, unsere Persönlichkeit, unseren Charakter und unsere Vorlieben? Ich lebe nun schon so lange in Deutschland, ich denke und träume auf Deutsch, meine Tochter ist Deutsche, und trotzdem ist meine Seele persisch (nicht armenisch). Wie kommt das?

Geschichte

Die Beschäftigung mit der Geschichte fasziniert mich schon immer. Ob es meine eigene Geschichte (Kindheit, Familie, Leben), die Geschichte meines Volkes (Genozid an den Armeniern), die Geschichte meines Geburtslandes (Iran) oder die Geschichte meiner Wahlheimat Deutschland ist. Meine Bilder entstehen im Spannungsfeld von Vergebung, Verarbeitung, Aussöhnung und Erinnerung.

Catherine Avak – Abstrakte Malerei
Catherine Avak während ihrer Einzelausstellung 2023 in Iphofen.

© 2023 Carlos Ortiz Liz